Christiane & John Shreve
Transkript des Interviews
C. Jacobi: Liebe Hörerinnen und Hörer, herzlich Willkommen zu “Drüben und Dann” unserem kleinen DDR-Zeitzeuginnen Podcast für Jung und Alt. Fünf gebürtige Ost-Berliner:innen berichten über ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Leben in der DDR, dem Verlassen Ost-Berlins und dem Ankommen in West-Berlin. Im Mittelpunkt stehen dabei deren ganz persönliche Alltagserfahrungen, Hoffnungen, Perspektiven und Herausforderungen verbunden mit dem Ankommen im fremdartigeren Teil der eigenen Heimatstadt. In unserer heutigen Folge, der Folge Nummer drei, erinnern sich John und Christiane Shreve an ihr Kennenlernen zwischen Ost- und West-Berlin. John ist Amerikaner und lernte Christiane über seine Brieffreundin aus Ost-Berlin kennen, und nach dem Ende seines Stipendiums zog John zurück in die USA. Aus heutiger Sicht wirklich nur schwer vorstellbar, fanden beide über Kontinente hinweg auch ohne eigenen Telefonanschluss, Internet und WhatsApp schlussendlich zusammen, und sind mit ihrem ersten Kind im Jahr 1983 zuerst in die USA ausgereist. Und von dort aus schlussendlich nach West-Berlin gezogen.
#00:01:34#
Christiane Shreve: Ich bin am 13.8.1954 in Wiesenburg Mark geboren, und hatte so ne Art Bullerbü Kindheit. Ich ging erst im Dorf acht Klassen und dann Abitur an die EOS in eine Stadt Belzig, die heißt jetzt Bad Belzig, und Abitur hatte ich 1973 abgelegt. Und in der DDR war ja alles zentralistisch organisiert, das heißt, es wurde auch festgelegt, wo man zu studieren hingeht. Ursprünglich hätte ich gerne Jura oder Germanistik, Jura fiel aus, weil ich nicht in der SED war, und Germanistik war ich glaube ich, auch nicht gut genug. Und da wurden wir dann zu unserer Direktorin, die mich eigentlich mochte, reingerufen, und nach Alphabet, ich hieß damals Friedrich, also war ich Nummer drei im Klassenbuch, und da sachte die “ Ach, Christiane, für dich haben wir überlegt, du könntest an die TU Dresden gehen und Betriebswirtschaft für Maschinenbau studieren, da irgendwann hast du mal n Mann, kannste überall arbeiten, läuft so!” und ich dachte, “Na gut, einige meiner Freundinnen, die kamen in so ne hässlichen Ortschaften wie Forst oder so ne ganz kleinen Käffer und da dachte ich, nee, Dresden hört sich schon ganz gut an”, TU Dresden hatte auch n guten Ruf. Und da war natürlich auch, ich kam da an, nicht wie die heutigen Studenten, ich hatte einen Platz in einem Studentenwohnheim, allerdings in einem Viermannzimmer, aber ich hatte Glück, wir haben uns alle vier gut verstanden und sind teilweise heute noch befreundet, es gab aber auch junge Frauen, die überhaupt nicht miteinander konnten, das war dann schon etwas schwieriger. Und mein Studium habe ich dann 1977 beendet, auch Regelstudienzeit war alles vorgegeben, nach vier Semestern musste man ein bestimmten Notendurchschnitt haben, also unter drei, sonst wurde man exmatrikuliert und erst dann durfte man also Diplom, sprich Magister machen. Und dann war auch klar, also nachdem ich diese Prüfung alle passiert hatte, meine Arbeit abgegeben habe, dass ich äh einen Arbeitsplatz bekomme, im EAW-Treptow in Berlin, weil ich wollte gerne wieder nach Berlin und meine Mitkommilitonen, die stammten alle aus dem näheren Umkreis von ähm von Dresden, die wollten alle gern dortbleiben, die hatten eher Schwierigkeiten, aber jeder wurde dort mit einem Arbeitsplatz versorgt. Und da kam ich dann in die allgemeine zentrale Vorfertigung, zusammen mit nem anderen Kommilitonen, den ich kannte. Aber wie gesagt, der war männlich, ich war weiblich und dann hab ich gemerkt, für den gabs irgendwelche Förderungen und für mich gabs nichts, wir hatten ja theoretisch alle Gleichberechtigung. Und äh dann habe ich mich beschwert und gesagt, “Wie kann das denn saein?” Naja, du heiratest und hast Kinder, und dann hast du gar nicht so viel Zeit für diese Arbeit. Sag ich erstmal, das war damals hab ich John auch noch nicht gleich gekannt. Ja, war das auch erstmal nicht mal mein Plan und dann haben die mich von der zentralen Vorfertigung in den Verkauf versetzt, das war in so ner Baracke zwischen Treptower Park S-Bahnhof und Ostkreuz. Und da war ich dann mitten mit vielen jungen Frauen mit kleinen Kindern, die ständig ausfielen, und dann wurd ich dort zur Gruppenleiterin und äh anschließend sollte ich ne Weiterbildung zur Abteilungsleiterin kriegen, ne Weiterbildung in Grünheide, aber die ist dann wegen der Ausreise ad acta gefallen. Und äh die Wohnung wurde damals auch vom Betrieb gestellt, die erste Wohnung, ich weiß nicht war ich da jetzt vier Wochen oder sechs Wochen, die war also in so ner Altbauwohnung in der Altstadt von Köpenick, da waren weiß ich nicht 12 oder 16 Frauen, also ne Atmosphäre wie Jugendherberge, Toiletten und Küche, also wirklich also nichts Persönliches und nichts Privates und wenn man dann sagen wir mal 23 schon ist, möchte man ja doch ein bisschen Privatsphäre haben, da hatte ich mich dann auch beschwert. Ja, ich bin hier die Beschwerderin also schon immer gewesen, habe immer den Mund aufgemacht. Und dann habe ich eine Wohnung in der Bärmannstraße bekommen, mit einer Frau zusammen ein Zweimannzimmer, das war ne Zweizimmerwohnung in der Küche, in dem einen Zimmer hat n Mann gewohnt, also wir mussten uns aber immer in der Küche waschen, weil es gab keine Dusche und keine und die Toilette war ne halbe Treppe tiefer und mit der habe ich dieses Zimmer geteilt. Ja und die hatte dann äh einen Brieffreund, das war John und der hatte parallel dazu ein Fulbright Stipendium und war in West-Berlin und wollte sie mal persönlich kennenlernen. Und so haben wir uns dann, hat er sich dann mit ihr getroffen und ja, also da hab ich dann John kennengelernt, der meinen späteren Ehemann und ich dachte erst gar nicht, dass der aus Amerika kommt, ich hab mich nur gewundert, in der DDR hat man ja die Leute so ein bisschen am Akzent erkannt, nur Sachsen, dann die aus der Küste und so und den konnte ich nicht irgendwie einordnen und ich glaube, bis ich dann mitbekam, dass er Amerikaner war, das war, glaube ich, erst auf einem der nächsten Treffen.
#00:06:31#
C. Jacobi: Und ich würde gerne noch einmal zur Studienzeit nachfragen, das Jurastudium kam nicht in Frage, weil deine Eltern nicht in der Partei waren?
#00:06:38#
Christiane Shreve: Nein.
C. Jacobi: Aus welchem Grund?
Christiane Shreve: Äh weil mein Vater war ja Kleinunternehmer und wir haben also zu Hause regelmäßig nur West-Fernsehen geguckt und haben sozusagen in zwei Welten gelebt, geistig da und geistig dort.
#00:06:52#
C. Jacobi: Das heißt also, so eine Art wilde Angepasstheit?
Christiane Shreve: Ja, man wusste, was man wo sagen darf und was man wohl lieber nicht sagen darf, ja.
C. Jacobi: So wie du es beschreibst, war die Studienplatzwahl ja eine eher nicht unbedingt freie Wahl. Was hat das denn in der Studierendenschaft für ne Stimmung hervorgebracht?
Christiane Shreve: Also, teilweise besonders für meine männlichen Mitschüler, die ja durften, nur studieren, nachdem sie sich drei Jahre zur Armee verpflichtet hatten und erst danach, also sie waren dann immer drei Jahre älter, ansonsten hatten die hätten die wahrscheinlich keine Chance gehabt auf n Studienplatz, und bei den jungen Frauen, also man wusste schon, die kümmern sich, man kriegt irgendeinen Platz. Wenn ich jetzt nein gesagt hätte, wäre ich wahrscheinlich auch irgendwo in der Pampas gelandet und da dachte ich ja, also, sagen wir mal ich weiß nicht, hab nicht jetzt für ein Fach gebrannt wie vielleicht ein Musiker oder ein Maler? Ich war so mit meinen Noten, ja nicht schlecht, also was jetzt mathematische Sachen und so betrifft und da dachte ich mir, irgendwie werde ich das schon hinkriegen.
#00:07:59#
C. Jacobi: Also sie haben dir, ich sage mal „gegeben“, ein betriebswirtschaftlich- technischen Studienplatz, der ja nicht unbedingt Frauenstereotypisch war, könnte man behaupten. Wobei auch das Frauenrollenbild, also Frauen bleiben zu Hause und sind nur für die Kinder da, ja eigentlich gar nicht so zutraf in der DDR, oder wie siehst du das Christiane?
Christiane Shreve: Also gewünscht war eigentlich, dass man während des Studiums die Kinder bekommt und in der DDR haben ja auch ganz viele Jung geheiratet, unter anderem, um zu einer eigenen Wohnung zu kommen, das war ja auch immer die Voraussetzung, dass man von den Eltern wegkam.
Und äh ich kenne auch viele, die dann geheiratet haben mit Anfang 20 und auch Kinder, da gab es ja dann auch ne entsprechende Versorgung, also die hatten einen Kindergarten oder einen Krippenplatz und die waren dann sozusagen voll arbeitsfähig nach Abschluss des Studiums. Da bekam man allerdings dann auch ne Verlängerung ne, wenn man jetzt also kurzfristig Mutter geworden war, dann konnte man auch länger studieren, das ging auch.
#00:08:59#
C. Jacobi: Dann waren wir gerade stehen geblieben bei deiner zweiten Wohnung und der ist dir dann ein bisschen besser ging, und du nur noch zwei statt acht Mitbewohnerinnen hattest. Und eine deiner Mitbewohnerinnen, ähm ja, deinen zukünftigen Ehemann John als Brieffreund hatte, können wir dort noch mal anknüpfen, wie es von da an weiterging?
#00:09:19#
Christiane Shreve: Naja sie hat ihn dann eingeladen, und äh John hatte sie dann getroffen und fand sie auf den ersten Blick erst mal unsympathisch, und dann hat er mich in diesem Großzimmer da, in der Kiezer Kietzer Straße war das, ne? In der Kietzerstraße getroffen und bei ihm war es Liebe auf den ersten Blick. Und ich hab ihn halt nur so wahrgenommen ja.
C. Jacobi: Und John, wie hast, wie hast du als US-Amerikaner den Weg nach West-Berlin gefunden zu dieser Zeit?
#00:09:46#
John Shreve: Also ich kam nach Berlin mit einem Stipendium, um meine Magisterarbeit zu schreiben, in Germanistik. Ich hatte schon ein paar Jahre in Deutschland gelebt und wusste, dass ich nach Berlin wollte. Und ja, da bin ich mit diesem Stipendium gekommen, da war natürlich jeder an der TU, In Berlin. Germanistik an der TU. Und ähm wie gesagt, ich hatte diese Brieffreundin, kurzfristig kurze Zeit gehabt, vorher vermittelt durch eine Studentin und ich sach naja man muss sich kennenlernen.
C. Jacobi: Und wie genau konnte man sich das vorstellen mit dem mit den Brieffreundschaften damals. Welchen, welchen Stellenwert hatte eine eine solche Brieffreundschaft? War das so‘n so‘n bekanntes Ding unter Studierenden und unter jungen Menschen in der DDR?
#00:10:34#
Christiane Shreve: Also ich muss sagen Brieffreundschaften und Briefe schreiben war ja also total üblich, wie man jetzt WhatsApp Nachrichten schickt, nur dass se ein bisschen ausführlicher und länger dauert. Also ich hatte Brieffreundinnen auch in der Sowjetunion damals, das wurde gefördert, da hat man Adressen bekommen, dann gabs hier Radio Luxemburg, was hier immer gerne mit Hitparade und so gehört haben, und da wurden auch Adressen verteilt, dann hatte ich einen Brieffreund in England, also man war schon eher gerne daran interessiert, jemand aus dem westlichen Ausland zu finden, ich hatte auch in der Schule einen sprachverstärkten Zweig, also ich hatte außer Russisch und Französisch und Englisch. Und aber sagen wir mal, diese normalen Sachen, die da üblich sind für die Begriffe, die hätten wir dann immer geschrieben. „I’m going in the, I was in the Pub“ oder so, das hab ich überhaupt nicht verstanden, was er damit meinte. Ja, also heute fasst man sich am Kopf, aber damals hat man das irgendwie nicht richtig übersetzten können, und das war schon schon wichtig da was zu erfahren, also da war man schon neugierig was, wies woanders auf der Welt war.
#00:11:29#
C. Jacobi: Mhm, und das war ja, eigentlich auch der der einzige Weg. //Mhm// Und warum hattest du diese Brieffreundin ausgewählt? Also dann ähm Christianes Mitbewohnerin.
John Shreve: Kam ich zum Seminar und alle standen noch vor der Tür, der vorherige Professor hat überzogen die Zeit und ich stellte mich zu n paar anderen Studenten und die eine sagte ja sie hat ne Brieffreundin in der DDR. Und erzählte davon und sagte auf einmal, „Ach hättest du Lust, eine Brieffreundin zu haben?“ ich sagte oh, hört sich interessant an und die sagen, ich schick dir eine Adresse und da hat sie mir geschickt, und diese Frau, die ich nie kennengelernt habe, die war in Saalfeld, glaube ich. //Mhm// Mhm, ich hab sie nie kennengelernt, aber die Brieffreundin, von der diese Studentin schrieb, auch an mich, die waren Cousinen. Und das war die Frau, die ich dann durch die ich Christiane kennengelernt habe. Und die war eigentlich die zweite. Und ja, also das war ganz normal, wie man Brieffreundinnen damals hatte, heute ist es undenkbar, wir haben das beschrieben, wie wir lebten, vielleicht n paar Bilder geschickt und so, ich weiß nur ich hab n Paket geschickt mit einiger Musikkassetten, die Kassetten kamen nie an. So also, es war schon, ähm aus dem Westen und vom Westen her gesehen selbstverständlich aber, es gab ein paar Haken da.
#00:12:54#
C. Jacobi: In welchem Jahr warst du im Rahmen des Fulbright Stipendiums an der TU in Berlin?
#00:13:00#
John Shreve: Ich kam 1977.
#00:13:01#
C. Jacobi: Ja und die TU, die befindet sich ja bekanntermaßen in West-Berlin. Christiane war aber in Ost-Berlin, das heißt, wie habt ihr das denn gestaltet oder angestellt, dass ihr euch tatsächlich das erste Mal treffen konntet?
#00:13:16#
John Shreve: Also ich bin rübergegangen nach Ost-Berlin, um diese Frau kennenzulernen, ich hatte die Adresse und wir haben es dann vor dem Haus auf der Straße getroffen. Und in der Tat, ich sah sie und dachte ich oh mir unsympathisch. Also einmal besuchen und dann gut, Mauer ist dazwischen. Und sie sagen ja, komm mal hoch, ich wohne bei n paar anderen Frauen. Ich dachte es sind zwei drei anderen, denn das war nach meiner Erinnerung 18 Frauen. In zwei, drei Zimmer und da waren die sechs Betten pro Zimmer.
#00:13:49#
Christiane Shreve: Also genau kann ich mich nicht mehr jetzt genau noch erinnern, wieviel wir tatsächlich waren.
#00:13:55#
John Shreve: Sie hat mich dann ins Zimmer gebracht, da waren sechs Betten auf jeden Fall. In dem Zimmer waren sechs Betten, und da war ich jetzt, schaute mir eine eine Frau, die da stand vor mir, an die hab ich keine Erinnerung und die ist die erste Frau, und eine andere steckte gerade etwas in Kachelofen. Und das war Christian. Ich sah sie von hinten, sie drehte sich um und sie wurde mir vorgestellt. Und ja denn wusst ich Bescheid, und ich war so aufgeregt, dass als ich die Wohnung verließ, ich ich wusste nicht mehr, wie sie hieß. Ich hatte es nicht mehr nicht mehr gehört, ich war so fixiert auf ihr Gesicht, denn, ja, und dann bevor ich gegangen bin, überhörte ich wie die ein eine Feier geplant hatten für n paar Tage später. Und ich guckte so diese Brieffreundin, sie hat da gesprochen und sagt, „Na ja, du kannst auch kommen, wenn du willst“. Ich glaub, das war nur aus Verlegenheit in dem Moment, aber ich dachte ich kann dir aber sicher sein! und da hab ich gesagt, der Raum war voll, richtig voll mit Leuten und ich hab dafür gesorgt, dass ich neben Christiane saß und da hab ich die dann wenigstens ihren Namen gelernt und ein bisschen weiter und das sie ein Freund hatte, das habe ich auch erfahren, aber dachte das erledigen wir irgendwie. Ja, und dann, ich kam immer wieder. Erst mal hieß es ich glaub es war erstmal n bisschen die Brieffreundin zu besuchen. Obwohl das nicht der meine Absicht war.
#00:15:16#
C. Jacobi: Und wie, wie genau kamst du rüber? Es waren ja nun wahnsinnig viele Grenzübergänge beziehungsweise Grenzübertritte deinerseits. Wie können sich die Zuhörer:innen das vorstellen?
#00:15:28#
John Shreve: Also, wenn man über die Grenze fuhr in die, in, nach Ost-Berlin, musste mal ein Visumgebühr bezahlen. Wir mussten Tagesvisum praktisch kaufen und dann wurde man genötigt, so und so viel Geld zu tauschen, also von D-Mark in DDR Mark, und das war nicht freiwillig, das musste sein, und wie gesagt, damals glaube ich war sechs Mark und später auf 25 erhört und da waren ich glaube in Berlin, wenn ich vielleicht entsinne 12 oder 13 Grenzübergänge und mal zwei für Ausländer, Checkpoint Charlie, die bekannte Checkpoint Charlie war ein davon in der Friedrichstraße, und der andere war Bahnhof Friedrichstraße. Aber ich ging immer über Checkpoint Charlie. Die ersten paar Jahre, und ähm sehr oft, sehr oft. Aber elf, elf Mark ging noch für einen Besuch.
#00:16:21#
C. Jacobi: Da würde ich jetzt ganz gerne noch mal an das anknüpfen, was du vorher schon gesagt hast. Dieses „Da war er dann halt öfter da“. Also wie genau würdest du eure Kennenlernphase eben unter diesen ganzen Umständen beschreiben?
#00:16:35#
Christiane Shreve: Ähm ja, also ich war natürlich auch sehr nervig und interessiert. Wann triffst du mal einen echten Amerikaner, wie da das Leben ist und genau ausgefragter, wie funktioniert die Gesellschaft? Und das fand ich schon sehr interessant. Und John als Muttersprachler, damals war ich noch Leonard Cohen Fan, der hatten mir dann ne CD, ne n Kassette mitgebracht und musste mir die Texte übersetzen, so sind wir uns da nähergekommen.
#00:17:00#
C. Jacobi: Von unseren ersten Kennenlerngespräch weiß ich, dass ihr zusammen im Februar im Jahr 1983 ausgereist seid, beziehungsweise du Christiane ausgereist bist. Ähm ja die Zeit zwischen dem Kennenlernen und dem Beschließen, dass Du einen Ausreiseantrag stellen möchtest, dann bis zur Bewilligung des Ausreiseantrags. Wie würdet ihr die nochmal erinnern?
#00:17:30#
Christiane Shreve: Also John musste ja dann auch wieder zurück, weil das Fulbright Stipendium ausgelaufen ist, nach Amerika, und ich hab geschwankt, weil ich dachte, das ist vielleicht doch ein großer Schritt, so weit weg, und wir haben uns zwar sehr gut verstanden und haben uns immer so getroffen, aber es ist doch was anderes, als wenn man Alltag gemeinsam teilt. Und da ist er dann wieder zurückgegangen. Und dann hatte ich ja einmal den Anfall, ihm zu seinem Geburtstag zu gratulieren und das hat ihn dann veranlasst wieder zurückzukommen. Und dann habe ich gesagt, also ich wäre jetzt auch bereit, einen Antrag auf Ausreise zu stellen, aber er muss da sein, nicht in Amerika, sondern, sagen wir mal greifbar, wenn irgendwas ist. Allein würde ich das nicht durchstehen.
C. Jacobi: Und wenn ich mich recht erinnere, gabs auch ein besonderes Telefonat, aufgrund dessen dieser Beschluss gefasst wurde.
Christiane Shreve: Also ich habe dann praktisch angerufen, bei ihm zu Hause, da war dann seine Mutter dran, die ihm das weitergegeben hat, und dann hat er sich entschlossen, zurückzukommen. Und dann bin ich eines Tages, das war im Sommer, sind wir immer von der Arbeit da, von dieser ähm von dem EAW-Arbeitsplatz von Richtung Treptower Park gelaufen, und auf einmal stand er da!Und da hab ich gedacht, jetzt so solls jetzt endlich sein und dann war klar, also für ihn, in der DDR hätte es keine Perspektive gegeben, obwohl ich das auch mal in Erwägung gezwungen hatte, aber.
#00:18:50#
C. Jacobi: Könntest du darauf noch einmal kurz näher eingehen? Was bedeutete das? Es hätte keine Perspektive für John gegeben?
#00:18:57#
John Shreve: Ich hätte kaum arbeiten können. Ich meine, man muss erstmal dazu sagen, ich hab meine Magister Arbeit über Wolf Biermann kennen geschrieben, und das war bekannt in der DDR, woher weiß ich nicht. Irgendwelche Spitzel oder so. Und ähm ja, ich war auch nicht unpolitisch, als Mensch nie gewesen. Ich hatte damals mich sehr, fühlte mich zu dem Sozialismus hingezogen, aber ich war nie Marxist oder so. Ich hab es auch Marx gelesen seit meiner Schulzeit, aber ich lehnte diesen DDR-Staat ab und ich habe mir auch nicht kein Geheimnis daraus gemacht und ich hätte den Mund nicht halten können. Und die haben auch gesagt, also ich in meinem Beruf als Germanist hätt ich gar nicht arbeiten können, das haben sie gleich gesagt, das kam nicht in Frage.
#00:19:49#
C. Jacobi: Erzählt es doch auch gerne noch mal aus deiner Perspektive John, was passierte nach eurem ersten Kennenlernen?
#00:19:56#
John Shreve: Mein Stipendium lief ab, ich musste, ich hatte kein Geld, ich musste zurück, und wir wollten in Kontakt bleiben, aber natürlich ist n sehr sehr weiter weg zwischen den Ländern. Ich schrieb Christiane einige Briefe, aber die kamen nie an. Christiane hat sie nie erhalten, habe ich später erfahren und dann irgendwann war Funkstille und es verging über ein Jahr und ich hörte nicht von Christiane, aber, und dann hab ich Babysitter gemacht bei dem Professor, der hat schon ein Baby und der wollte mit seiner Frau ins Kino und wir waren auch befreundet. Und ich saß in seiner Wohnung, da, es war zufällig mein Geburtstag, den ich vergessen hatte (lacht) und das Telefon klingelte und ich dachte, ach ich geh ich nicht ran und dann ach vielleicht rufen sie an ob noch alles in Ordnung ist jetzt mit dem Baby. Meine Mutter war am Telefon und woher sie wusste wo ich war habe ich keine Ahnung, noch heute nicht. Die sagt „Christiane hat angerufen“ Ich sag, „Was hat sie gesagt?“, „Die hat dich zum Geburtstag gratuliert“, ich sag „Was noch?“, „Nichts“ und da an dem Abend hab ich mich entschlossen, ich geh nach Berlin zurück. Ich wusste nichts über Christiane, ich wusste nicht, wer ihr Lebensgefährte ist, wusste nicht, ob sie verheiratet war, inzwischen, was in der DDR gar nicht so selten gewesen wäre und ich hatte musste noch, der Magister musste noch mal die schriftliche Prüfung in mündliche Prüfung ablegen und irgendeine Möglichkeit finden, in Deutschland zu arbeiten. Und irgendwie habe ich erfahren von Lehrerassistenten an Gymnasien und Handelsschulen und sowas Ähnliches und da hab ich mich beworben und bekam eine Stelle als Schulassistent, als Lehrerassistent in Bremen, an einer Handelsschule. Und wenigstens in dem gleichen Land, war nich in Berlin aber auf dem gleichen Land. Und dann bin ich nach Berlin gefahren und wir haben es wiedergesehen. Das war diese Treffen in dem Park. Und ähm ja, waren wir zusammen, aber dann kurz, denn Christiane, ich hab mein erster Arbeitstag geschwänzt, um nach Berlin zu fahren, was ist 10. Oktober, das war Feiertag in der DDR war ein Montag, glaube ich, in dem Jahr und wir wollten die drei Tage am Wochenende verbringen und ich wär dann Dienstag wieder zurück getrampt. Nach Bremen. Und Christiane sagte „Na ich muss gleich wieder weg, es ist Sonnabend ich musste meinen Vater anrufen, ich musste arbeiten, da zu Hause gibt es so viel Arbeit“ und sie ist weggefahren, ich war nicht sehr erfreulich, und das passierte dann das zweite Mal wieder. Und ich hab gesagt zu Christiane, also, was soll denn weitergehen diese Sache hier, ich muss wenn mein Vater sagt Arbeit. Ich muss da hin. Ich dachte, die wird sich nie von der Familie trennen können, da hab ich mich getrennt. Und da war, vergingen einige paar Monate wa? Wie lange war es vielleicht, vier, fünf Monate, und da war ich inzwischen in Frankreich und lebte da, hatte ich dann aufgegeben in Bremen, lebte in Frankreich, mit Freunden, in einem kleinen Dorf in einem kleinen Tal, wo kaum Leute lebten. Und eines Tages ich ging in dem nächsten Dorf zu der Telefonzelle, und dann hat Christiane angerufen und sie sagt, „Ich soll zurückkommen“, und da bin ich, trampte zweimal zwischen Südfrankreich und Berlin, um meine Sachen hinterher zu transportieren. Und da war ich in Berlin, ich glaub, das war 1980.
#00:23:16#
Christiane Shreve: Ja, und ich hab dann, im Oktober 1981 einen Ausreiseantrag gestellt.
#00:23:22#
John Shreve: In meiner Erinnerung ist Christiane wollte einen Ausreiseantrag stellen, durfte aber nur ein Antrag auf Eheschließung mit einem Ausländer stellen.
#00:23:30#
C. Jacobi: Aber ihr habt ja noch geheiratet vor der Ausreise, oder?
#00:23:33#
Christiane Shreve: Also ich habe mich dann entschlossen, und habe einen Antrag gestellt auf Eheschließung mit einem Ausländer und anschließender Ausreise, im Rathaus Treptow und das war im Oktober 1981. Und äh dann war mir natürlich klar, dass das meine berufliche Karriere auch einschränken würde und ich bin so, vier Wochen hat es gedauert, da bin ich immer mit Ängsten zur Arbeit gegangen, weil ich dachte, irgendwann kommt das dann mal raus und die laden dich ein zu einem Gespräch, und als es dann der Fall war, wurde ich zum Direktor reingebeten, der mir eigentlich auch ganz sympathisch war der mich, glaube ich auch mochte. Und der sagte „Ja, das hab ich gehört und das kann ich mir gar nicht vorstellen. Warum willst du denn ausreisen?“ Und ja, mit meiner Wohnsituation, da könnte er mir helfen, ich würde auch ne neue Neubauwohnung bekommen und alles Mögliche, müsste auch nicht die Stunden ableisten, ich müsste nur den Auftrag zurückziehen. Und da hab ich gesagt: Nee, wenn ich mich entschlossen habe mache ich das und der sagte dann „Das heißt natürlich auch, also ich werde nicht mal Gruppenleiter sein und hier die Karriereleiter, die Weiterbildung als zum Abteilungsleiter die würde auch wegfallen und ich musste dann erst mal vier Wochen in die Produktion. Stanzerei“. Ja, das hab ich dann gemacht. Und dann gab es da so ne große Runde, wo wir immer einmal in der Woche so unsere Arbeitsprobleme besprochen haben und da nahm dann der Parteisekretär daran teil und der sagte dann, „Ja, ich muss noch was anderes besprechen. Also die Kollegin Friedrich wird aller ihre Ämter enthoben, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hat“, und die guckt mich alle an, damit hatte wohl keiner gerechnet, und dann sachte ich, „Ja, ich habe einen Antrag auf Heirat gestellt mit einem Amerikaner, ne mit einem Ausländer.“, Und da sachten, die also Rassismus lebe hoch, „Du willst doch nicht in den Busch ziehen“, also weil in der DDR oft die Leute das, also so n Studenten aus Afrika geheiratet oder Beziehungen hatten, um irgendwie da rauszukommen, ja. Das war dann auch so ein bisschen gang und gäbe. Und dann war danach war n bisschen das Verhältnis verändert, einige waren viel zu, also offener oder freundlicher zu mir als vorher und andere haben sich sehr zurückgehalten, also mit so diesen Alltagsgesprächen. Und als ich dann aus der Produktion wiederkam, da, die brauchten ja immer Arbeitskräfte, weil ständig die jungen Frauen wegen ihrer kranken Kinder fehlten, habe ich da dann als einfacher Sachbearbeiter weitergearbeitet und dann war ich ja auch schwanger und durfte nicht mehr in der Nachtschicht eingesetzt werden.
#00:26:11#
C. Jacobi: Um das vielleicht auch noch mal für die Zuhörer und Zuhörerinnen zu erwähnen, also sobald dieser Ausreiseantrag, beziehungsweise eben auch der Ausreisewille dann publik wurde, dann war man eben tatsächlich auf eine Art auch sozial geächtet.
#00:26:26#
Christiane Shreve: Ja, persona non grata, ja. Damit war ich also keine positive Person für den Sozialismus mehr, in der DDR. Ich war kein keine gute Bürgerin mehr.
C. Jacobi: OK, ja, und dann dann warst du schwanger, der Ausreiseantrag war gestellt und deine vorgesehene, etwas höhere berufliche Laufbahn, wurde dir versagt, du wusstest auch nicht genau, wann das Ausreisedatum sein wird. Lieg ich da richtig?
#00:26:51#
Christiane Shreve: Ja, also ich bin dann kontinuierlich jede Woche in die Abteilung des Innern und hab nachgefragt und wurde immer ziemlich barsch abgefertigt. Das ist abgelehnt und daran ändert sich nichts und ich sollte doch das einstellen, immer vorbeizukommen. Und dann waren wir einmal..
#00:27:05#
John Shreve: …Ja, also Christiane! Erstmal wurde dieser Antrag auf Eheschließung abgelehnt. Es war im März, März 82. Und dann es hieß, sie darf keinen erneuten Antrag stellen solange die Bedingungen, unter denen diese ersten Antrag gestellt wurde, sich nicht ändern. Und da war sie derzeit schwanger. Also wir gingen davon aus, ich glaub es war auch so gedacht, erst wenn das Kind da ist und wir ne Familie sind, auch wenn wir nicht verheiratet waren, das wären neue Bedingungen, unter denen können einen neuen Antrag stellen und in der Zeit, in dieser Zeit, nach dieser Ablehnung von diesem Antrag, eigentlich bis nach der Geburt unserer Tochter in in July, das war ne ganz komische Zeit. Weil wir hatten keinen Antrag laufen, wir wussten gar nicht wie es weitergeht. Ich pendelte hin und her, sehr häufig, und es war so eine Zwischenzeit, wo wir wussten gar nicht wies weitergeht. Und ich hatte auch inzwischen bei der amerikanischen Botschaft vorgesprochen, wie sie da die Lage einschätzen, wie sie uns helfen können, und ähm sie haben mehr oder weniger gesagt, es wird schon klappen, aber es wird dauern. Und nach der Ablehnung von diesem Antrag habe ich gedacht, das kann nicht ich einfach, wir können nicht einfach warten und nichts tun. Ich bin in das alte Amerika Haus in West-Berlin gegangen, es war eine Bibliotheken und Kulturzentrum für amerikanische Kultur. Die hatten ne Bibliothek und ich hab die Adressen von einigen Senatoren, mein wo ich wählte in Missouri und drei andere die sehr einflussreich waren, und ich hab an die geschrieben, ob sie uns helfen können, und danach hörten wir nichts von diesen Leuten, also gar nichts. Und erst 30 Jahre später, haben wir unsere Akte ein Auszug von der Akte bekommen und da waren die Briefe!
#00:28:57#
Christiane Shreve: Ja, naja, die kamen, die haben wir ja dann bekommen, wir haben uns ja auch gemeldet, als Opfer, für die Aufarbeitung ähm der SED-Diktatur da in Hohenschönhausen, und da mussten wir ja nochmal ne Prüfung über uns ergehen lassen, und da haben die uns Unterlagen zugeschickt, und da haben wirs dann erfahren.
#00:29:12#
John Shreve: Und diese ganze Weg die sie gegangen, also diese diese Briefe, die ich geschrieben habe waren entscheiden, dass wir heiraten dürften und ausreisen, sie ausreisen durfte, weil die haben Druck auf der DDR-Botschaft im Washington gemacht und die haben direkt für uns eingesetzt, aber die Briefe haben, ich muss sagen, die haben Briefe auch an Christiane geschickt, auch die die amerikanische Botschaft im Ost-Berlin hat ein Brief an Christiane geschickt, die sie nie erhalten hat, das haben wir gesehen, 30 Jahre später, und, später durch unsere Stasi Akte haben wir erfahren, die Entscheidung, dass Christiane heiraten durfte und ausreisen durfte, wurde ihr nicht erteilt von Abteilung des Inneres, wie es eigentlich Gang und Gebe war, sondern vom Außenministerium der DDR.
#00:29:56#
C. Jacobi: Ah OK! Und wann ist eure Tochter dann geboren?
Christiane Shreve: Im Juli 82. Und dann äh war ich wieder da, es haben sich ja die Bedingungen geändert. Ich möchte, ich bleibe dabei, ich möchte diesen Antrag aufrechterhalten und noch mal neu stellen, und dann haben sie gesagt, „Ja, er muss erst die Vaterschaft anerkennen und Alimente bezahlen, und dann können wir noch mal drüber reden“, so, dann war das der nächste Schritt, dann hat das John gemacht und hat auch gezahlt. Ich sag „Ich will ja kein Geld“, „Nein musser“ und äh dann haben wir ähm dann haben sie uns wieder einbestellt. Der Antrag wäre jetzt gebilligt äh bewilligt, auf Heirat und anschließende Ausreise, und da hab ich dann gefragt, „Wann ist denn der nächste freie Termin?“, das hatten die alles im Überblick und dann haben sie gesagt „Im Dezember“, das war ein Wochentag donnerstags in Schöneweide und dann haben wir gesagt, „Den nehmen wir!“, dann haben die da gleich angerufen, dann konnten wir dorthin fahren und den Termin ausmachen und äh ja, dann haben wir da im relativ kleinen Kreis geheiratet, also mit meinen Eltern und meinem Bruder und seiner Frau, und ….
John Shreve: Das wars…
Christiane Shreve: Ja das wars.
#00:31:05#
C. Jacobi: Dann also im Dezember 82 eure Heirat, eure Tochter war ein bisschen mehr als ein halbes Jahr alt und wie, wie ging es dann weiter? Die kurze Zeit bis zum Februar 83 bis zur Ausreise?
Christiane Shreve: Na dann habe ich praktisch nach der Heirat, konnte ich dann n Antrag auf Ausreise nach Amerika stellen, und da bekam man ja so n Laufzettel, wo man sich überall in der DDR…
C. Jacobi: Äh ja, da muss ich kurz noch ähm Zwischenfragen, gab es denn eurer Meinung nach Unterschiede zwischen einem nach West-Berlin gestellten Ausreiseantrag oder ähm einem Ausreiseantrag ins nicht sozialistische Ausland?
#00:31:44#
Christiane Shreve: Also ich hab das so verstanden, wenn ich jetzt einfach nur ne Ausreise nach West-Berlin, das wäre wahrscheinlich nicht bewilligt worden, weil ich ja ein Amerikaner heiraten wollte, und Amerikaner wohnten für die DDR in Amerika. So also ging es also dann dorthin, und äh da sollte ich dann auch einen Flug buchen, war ich auch unterwegs in diesen Reisebüros, aber die waren also mit diesen DDR-Linien, die man auch mit der Ostmark bezahlen konnte, die waren alle ausgebucht für n halbes Jahr. Ich weiß auch nicht, wer da alles hingeflogen ist, keine Ahnung, und dann ist John da zu Finnair gegangen, am Alexanderplatz hätten die auch so ne Dependance, und hat dann zwei Tickets mit D-Mark bezahlt, das ging dann, nach Kansas City, äh also wir hatten dann auch ein Datum glaube ich bis zu welchem Zeitraum wir ausreisen müssen, und das war dann, nachdem dieser Laufzettel abgearbeitet war. Also ich musste mich dann abmelden bei der Krankenkasse, bei der Firma, bei der bei den Banken, bei der Wohnung, da musste ich überall einen Stempel vorweisen, dass ich dort war und mich abgemeldet habe.
C. Jacobi: Und wie hat euer Umzugstag dann ähm genau ausgesehen?
#00:32:48#
Christiane Shreve: Also wir sind ja am 28. Februar nach Amerika ausgereist, das war erst mal so ein trauriger Abschied. Ich hatte noch vom 26 auf den 27 in meinem Elternhaus übernachtet, mit unserer Tochter und mein Vater den ich nie hab weinen gesehen, hat am Bahnsteig geweint und meine Mutter ist mitgekommen, und dann sind wir zum Flughafen Schönefeld, ich glaub mit dem Taxi gefahren mit dem Kind und dem Gepäck und da war dann auch noch ne andere Freundin dabei, die sich verabschiedet hat. Und dann sind wir über Amsterdam nach Kansas City geflogen. Dort haben uns Johns Eltern in Empfang genommen und die waren also sehr herzlich und ganz glücklich über, besonders über das Enkelkind. Also ich hatte wirklich sehr liebevolle und großzügig Schwiegereltern. Dann haben wir in seinem Elternhaus gewohnt, und die hatten damals schon das Sommerhaus in Texas. So, wir haben uns da sozusagen alleine ankommen lassen und John hat dann so verschiedene Jobs angenommen, also auch schon mit Arbeitszeit, und äh dann war ich wieder schwanger und diese ganzen sozialen Unsicherheiten in Amerika, die haben mich einfach verängstigt und da dachte ich, also in Deutschland ist die soziale Absicherung doch viel größer, lass uns wieder zurückgehen. Und dann sind wir im August zurückgeflogen, und äh haben uns dann, hat uns n Freund ne Wohnung besorgt, der auch damals die schönen Mischbrotbrotpackungen von Berlin nach Amerika geschickt hat. Da war auch, wieso quasi ne Wohnung für uns, aber die war, fand ich für ein kleines Kind ein bisschen unhygienisch mit Hundehaaren und dann war das wirklich ein strammer Nazi, da hingen also noch Bilder, da denkt man gar nicht, dass das nicht möglich wäre. Dann mussten wir natürlich nach Marienfelde durch diese, um diese Aufnahme zu durchlaufen und auch um Ansprüche zu geltend zu machen. Da wurde ich dann glaub ich von, von den Amerikanern, von den Briten, von den Engländern, Franzosen und vom deutschen BND befragt, und hab dann auch erstmal so n Zimmer zugewiesen bekommen.
C. Jacobi: Wozu befragt?
Christiane Shreve: Äh, ob ich nicht eventuell ein Agent wäre, was meine Motive waren, was ich gemacht hab und so und ich glaub die hatte ich zur Zufriedenheit beantwortet.
#00:35:01#
C. Jacobi: Das heißt also allein die Tatsache, dass ihr in die USA ausgereist und danach wieder nach Deutschland eingereist seid, also nach West-Berlin, hat die Vermutung erwachsen lassen, dass du eine Agentin hättest sein können?
#00:35:15#
Christiane Shreve: Also ich glaube, die haben alle so befragt. Alle, die dort waren, ob die direkt aus der DDR nach West-Berlin, oder woanders. Und ich hatte den Eindruck, das war relativ voll, das Aufnahmelager, vorwiegend also mit Leuten aus der DDR und auch aus Polen, die aus den Gründen von Solidarnosc da ausgewiesen worden sind, als Staatenlose. Also da hatten wir viele. Und nachdem ich dann sagte, also in dieser Wohnung, bei diesen Menschen können wir nicht mehr bleiben, da sind wir dann in ähm in die Wohnung am, wie heißt die Straße?
#00:35:48#
John Shreve: Ufer, ne, Tempelhofer Ufer.
#00:35:51#
Christiane Shreve: Tempelhofer Ufer! //das Rote Kreuz Heim// das war ein Rotes Kreuz Heim. Das war also auch voll mit Ausreisenden aus der DDR und ebend aus Polen. Mit denen hat man dann auch immer kurze Kontakte, man hat sich immer ausgetauscht, was wo möglich ist, wo man sich hinwenden muss und was man so braucht und da hatten wir uns mit einer deutsch/ irischen Familie angefreundet, mit den Kindern. Die Freundschaft, die blieb eigentlich bestehen, bis sie dann nach Luxemburg gezogen sind, und dann hat man nichts mehr voneinander gehört. Und über ein WBS mit Dringlichkeit hatten wir dann die Wohnung in der Falkensteinstraße bekommen. Und parallel dazu ist eine Familie aus Polen, mit denen wir auch befreundet waren, ins gleiche Haus gezogen. An dem Haus stand rangespritzt „Bonjour Tristesse“, das hats eigentlich getroffen! Das hat zwar mal n Preis auf der IBA, also da auf der Bauausstellung gewonnen, aber so ringsherum war, denn damals ruhige verkehrsberuhigte Zone, aber das war eigentlich das einzige Positive.
#00:36:55#
John Shreve: Ja, ja die Mauer war, //ja// also die Straße war eingemauert //war eingemauert//
Christiane Shreve: Oberbaumbrücke, Schlesische Straße und so weiter, //da konnte nichts passieren// und äh dann habe ich ja noch mal das zweite Kind bekommen. Dann bin ich zu Hause geblieben bis August und hab mich dann beworben und hatte eine Arbeit gefunden, weil ich in Amerika war, Elektronik Modular Systems, das war so ne Firma am Moritzplatz. Da war ich zuständig für alles, aber alle kollegial und hilfsbereit. Das war wie so ein, ja heute würde man sagen Start Up, vorwiegend so ne jungen Leute. Ich war damals auch noch jung. Und dann habe ich da mitbekommen, als Mädchen für alles, dass ich ständig an den Inhaber, das war glaube ich ein indisch stämmiger Amerikaner, schreiben musste, der soll uns wieder Geld schicken. Und da dachte ich: also das geht jetzt nicht mehr lange gut, orientier dich mal um. Und damals gab es ja die Stellenanzeigen noch in der Zeitung, da habe ich dann in Wedding bei der Firma die hießen, also wirklich wunderbar, „Deutsche Vergaser“ angefangen zu arbeiten. Dort waren auch Leute beschäftigt, die mal ausgereist waren. Das hat man dann auch schnell mitgekriegt. Insgesamt muss ich mich so ein bisschen an die Arbeit, äh nicht an die Arbeit gewöhnen, war natürlich, die Technik war weiter.
#00:38:09#
C. Jacobi: Da muss ich noch mal ganz kurz Zwischenfragen. Ähm deinen Abschluss so wie du ihn gemacht hast, erlangt hast, in der DDR, bedurfte es da in West-Berlin noch mal einer besonderen Anerkennung?
#00:38:19#
Christiane Shreve: Ja, also ich hab da äh mein Abschluss eingereicht zur Anerkennung und hatte Glück, dass parallel jemand, der also den gleichen Berufsabschluss hatte, also das nannte sich Ingenieurökonom für Betriebswirtschaft, äh hatte geklagt weil er nur als Sachbearbeiter oder so äh eingestuft wurde und der hat dann Recht bekommen, adäquat mit dem Titel äh Wirtschaftsingenieur, und äh damit hatte ich mich dann auch beworben, mit den Zeugnissen und meiner Beurteilung, die ich von dem EAW Treptow hatte und wurde als Sachbearbeiter im Einkauf eingestellt, und da musste ich mich erst mal so ein bisschen dran gewöhnen. Also ich wurde auch herzlich aufgenommen. Aber da war ja mehr so ne Männerdomäne, und wenn ne Kollegin und ich und so über Verbesserungsvorschläge oder irgendwelche Änderungen unterhalten haben, und ich muss ja auch immer pünktlich gehen, weil die Kinder dann abgeholt werden mussten, dann haben die Herren das wahrgenommen, sind zum Chef rein und haben das als ihre Ideen verkauft. Das hat dann ne Weile gedauert und haben dann auch immer mehr Jahresentgeltprämie bekommen, und dann habe ich das mal angesprochen, dass das doch wohl so nicht sein könnte und hatte ich so ein bisschen Spießrutenlaufen. Also ich hätte das wahrscheinlich nicht so direkt machen müssen, aber so war ich halt, und hab mir dann ne neue Arbeit gesucht, dann war ich bei der Firm DWM Copeland , die haben Kühlaggregate verkauft. Und diese Leute, dann gabs bei dieser „Deutschen Vergaser“ so einen generellen Personalwechsel, Chef und Mitarbeiter wurden ausgetauscht, und da hat mich diese Kollegin wieder angerufen, ob ich nicht zurückkommen möchte, und das habe ich dann gemacht und hab da praktisch bis zum Ende meines Arbeitslebens gearbeitet, und eigentlich auch gern gearbeitet.
#00:40:03#
C. Jacobi: Ja, schön. Und jetzt beim beim Ankommen im im Berufsleben in West-Berlin, das Arbeiten in den, in den Westfirmen gab es da etwas, was dir, was dir total fremd war, was gar nicht vertraut war, oder ja, was war generell anders?
Christiane Shreve: Also die Technik war natürlich anders, die wir davor hatten in der DDR haben wir noch Karteikarten ausgefüllt und alles manuell ausgerechnet, also die Bedarfe. Und da gabs ja schon, also die ersten Schritte mit dem Computer. Dann habe ich da angefangen, ich glaube 84. Und dann, dass man also Telexe geschrieben hat, Fax und so, das kannte ich aus der DDR nicht, aber ich war ja noch jung und hab relativ schnell gelernt. Also das war jetzt kein Problem. Die haben mir das einmal gezeigt und dann konnte ich das auch hier. Aber ich hatte immer Selbstbewusstsein. Also ich war jetzt hier nicht so n Unterwürfiger Typ.
#00:40:55#
C. Jacobi: Okay, da höre ich heraus, dass dir das Ankommen im Berufsleben dann in West-Berlin recht leichtgefallen ist, außer vielleicht die die Männerdomäne, die so ein bisschen durchbrochen werden musste?
#00:41:07#
Christiane Shreve: Ja, ja, also ich hab mich dann beworben, hab es hatte auch nicht alles geklappt, aber dann hat es ja praktisch geklappt und da hatte ich keine Probleme. Nein.
#00:41:17#
C. Jacobi: Und John, wie sahs bei dir aus in der Zeit?
#00:41:19#
John Shreve: Meine Ausbildung musste auch anerkannt werden. Und wir haben das eingereicht, beim Senat zum Senat. Ich hatte ein zwölfsemestriges Semesterstudium, also Bachelor und Master, was mehr ist als der heutige Begriffe, die benutzt werden. Ich hatte zwölf Semester meins. Und ich hatte Bachelor of Arts, Master of Arts hießen die beiden Titel, in die Senat hat weder den einen noch den andere anerkannt. Von zwölf Semester wurden zwei Semester anerkannt, also ich hatte keinen Hochschulabschluss danach, hier war ich ohne Hochschulabschluss. Und ähm ich wurde dann im Arbeitsamt zurückgestuft, von einem arbeitslosen Akademiker auf einen nicht Ausgebildeten, also praktisch jemanden ohne Berufsabschluss. Und ähm das ließ natürlich nicht viele Möglichkeiten zu. Also ich hatte keine Ausbildung. Und Christiane sagt mir, „Na geh mal zur Universität zur Freien Universität, frag mal einfach, ob sie was machen können, um dir zu helfen“, dann bin ich hingefahren und bei der Beratung von der Germanistikabteilung, denn ich hatte meinen Abschluss in Germanistik gehabt. Sie guckte meine Unterlagen an, von der Uni in Amerika, sie sagt „Wollen sie nicht bei uns promovieren?“. Ich sagte, „Wie geht denn das, ich hab nicht mal einen Hochschulabschluss?“ Sie sagt „Das sehen wir anders.“ Und dann, sie hat mich überredet und wir haben überlegt, es kann nicht schaden, allerdings hab ich n Abschluss und vielleicht führt das zu wat Besseres, zu Hochschulen oder irgendwas, wo ich unter arbeiten könnte. Dann hab ich dat gemacht. Das hat, bis bis Schluss war, also ich musste Einiges nachholen, ich muss ein zweites Äquivalent von dem zweiten Studienfach haben, das war Geschichte und ein paar Sachen nachholen, die bei in Amerika nicht so betont waren wie ein Mittelhochdeutsch und so Ähnliches. Und dann musste die Doktorarbeit schreiben und das hat, ich glaube, 4 Jahre gedauert. Aber es hat eigentlich im Grunde nicht gebracht, beruflich. Und irgendwann mal fing ich an, an der Volkshochschule zu arbeiten. Ich hatte das da unterrichtet, als Christiane noch in Ost-Berlin war. Und das habe ich dann 30 Jahre gemacht. Also beruflich bin ich hier eigentlich gar nicht angekommen. Also das, das war eine eine ziemliche Pleite, aber ich war dann acht Jahre praktisch Hausmann. Das war natürlich, trug auch dazu bei, dass ich nicht so große Chancen hatte, weil ich aus dem Berufsleben praktisch, praktisch nie drin war. Die fünf Jahre erst mal bei Christiane ohne Arbeitserlaubnis, auf sie gewartet, und dann die die Zeit, die Arbeitsform war für mich auf der anderen Seite eine sehr schöne Sache mit den Kindern zu sein. Und ich glaube, es war für sie besser, sie sind drei Jahre waren sie Ganztags zu Hause und dann unsere Tochter fing an halbtags in die Kita zu gehen und dann nächstes Jahr danach unser Sohn.
#00:44:14#
C. Jacobi: Und das Umfeld, in dem ihr die Kinder in West-Berlin aufgezogen habt, war das charakteristisch, ähnlich zu dem, wie du es aus deiner DDR-Kindheit kanntest Christiane? Oder wie hat sich dieses neue Umfeld dann, dieses neue Leben angefühlt?
#00:44:29#
Christiane Shreve: Naja, die Erziehungsmethoden waren ja schon unterschiedlich. Also in unserer Straße gab es auch so ne alternativen Kindergarten, wo die Kinder, sagen wir mal, machen konnten, was sie wollten. Also das war jetzt hier auch nicht unsere Methode. Wir denken schon Erziehungsberechtigte und man muss den Kindern auch Grenzen aufzeigen. Aber das wurde schon mehr auf die Persönlichkeit der Kinder eingegangen und also nicht so von oben herab so. So die haben so zu funktionieren und sollen nicht stören. So ne Methode hatten wir eigentlich nicht. Aber unser Umfeld, also unser Wohnumfeld da im SO36, war also für Kinder nicht schön. Wir sind da zum Spielplatz Lohmühle und so gegangen, das war sehr nett. Und die Freunde, die sie hatten, die waren auch OK. Aber am Wochenende, am Wochenende sind wir meistens entweder haben wir einen Ausflug gemacht oder wir sind aufs Land zu meinen Eltern gefahren, da mein Bruder wohnte im selben Haus mit meinen Eltern und die eine Tochter war, also passend im Alter, die waren dann auch befreundet, die Kinder. Die sind da sehr gerne hingefahren. Die hatten wie so einen eigenen Garten, wo sie jeden Grashalm persönlich kannten, und konnten wie Bullerbü da in so einem kleinen Laden einkaufen gehen. Also ich denke mal das war nicht schlecht, die sind da als Kinder auch gern hingefahren. Jetzt sehen sie es auch anders, aber damals während der Kindheit, ich glaube, es hat ihnen nicht geschadet. Und wir waren im Urlaub, also dadurch, dass John also, mit unserem Geld sind wir hingekommen, aber große Sprünge waren auch nicht drinne, und John hat ja immer dann zweimal Geld gekriegt, einmal im Januar und einmal im Dezember von der Volkshochschule, und wir sind immer jedes Mal in den Urlaub gefahren, Ferienhaus gemietet. Aber dass wir da jeden Tag essen gegangen sind oder wie die jetzt das machen. Wie heißt das, diese Cluburlaube oder so? Also ich hab da auch Wäsche gewaschen, hab auch mal selber gekocht, also so ne Luxussachen hatten sie nicht, aber wir waren am Meer und haben ne schöne Zeit zusammen verbracht.
#00:46:16#
C. Jacobi: Ich hatte mir notiert, bei unserem ersten Kennenlernen, dass einer von euch beiden ähm gesagt hat, „West-Berlin eine Welt für sich, Wehrdienstverweigerer, Leute, die etwas anderes wollen, die ganzen Alliierten feierten Feste und Democrats abroad Germany“.
#00:46:33#
Christiane Shreve: Ja, das ist schon, ah, das stimmt auch. Ja, das war eine andere Welt.
John Shreve: West-Berlin war eine Welt für sich! Also sie ist nicht vergleichbar mit dem heutigen Berlin. also ich meine ist gut, dass die eine gekommen ist, aber. West-Berlin lag mir mehr als heute, heutige Berlin. Es war wirklich ein ein ja, na wir waren eine Größe eingemauert, aber wir dürfen durch die Mauer durch und ähm all diese Sachen, die Unterschiede, ich meine es war eine kleine Welt und und, da waren die Alternative in allen möglichen, politische Alternativen, wirtschaftlich Alternativen, kultureller Alternative, journalistische Alternativen die Tagesleitung ist entstanden in der Zeit, als wir da ankamen. Und wir waren auch oft bei den Deutsch-amerikanischen Volksfest. Das war auch in so immer eine schöne Sache, äh, damals und ähm, dann in in, das war die Zeit der Hausbesetzer auch, ja und dat fing an, bei uns um die nächste Straße waren Hausbesetztende. Ich wollte zum Bäcker und da war die Polizei gerade dabei das zu räumen, und die Kinder waren mit, übrigens. Und ich fragte ein Polizist da, „Was ist hier los?“ und der hat mich so angeschnauzt, „Das geht mich gar nichts an“ und so, und ich sage ja, „Wenn das in meinen Nachbarschaft passierte, geht mich schon an“ und aber. Und dann war der der Besuch, kann ich mich noch entsinnen, der Besuch Ronald Reagan kam, wo die ganze Stadt //abgesperrt wurde// Sonderstatus war und wir gingen zum Bahnhof und die haben alle untersucht die in den Zug wollten, nur eben mich haben sie nicht untersucht. Ich war mit meinen Kindern, wahrscheinlich war es dadurch, und das hat mich ja eigentlich an sich geärgert, wenn sie die anderen untersuchen, warum untersuchen sie mich nicht? Ich finde es eine Unverschämtheit, dass wir waren, abgesperrt SO36, das sind nur zwei oder drei Straßen, die weiterführten in die Stadt und die haben sie gesperrt. Wir waren wirklich eingesperrt! Damit die dummen Kreuzberger nichts machen. (lacht)
#00:48:27#
C. Jacobi: Also ihr sagt, das Leben im SO36 Kiez war für euch und eure Kinder schon schon eher belastend?
#00:48:34#
Christiane Shreve: Ich denke mal, man hat zentral gewohnt, ist aus dem Haus gefallen, konnte alles erledigen, auch preiswert, aber für Kinder war die Umwelt und Umgebung nicht gut. Also eindeutig nicht. Aber wir haben ja immer versucht was anderes zu finden, aber das ging preislich nicht ja. Erst nach der Wende haben wir jetzt hier diese Wohnung gefunden.
#00:48:52#
C. Jacobi: Also wir sind jetzt beim Thema leben im SO36 Kiez mit euren Kindern, da würde ich ganz gerne auch noch mal einhaken zum Thema Familie und Familienbesuche, weil ähm ja deine Eltern hatten sich ja, bei dir verabschiedet mit dem Wissen, unser Kind geht in die USA und wir sehen sie vielleicht nie wieder? Dann seid ihr zurück eingereist nach West-Berlin und ähm deine Eltern wussten das sicher?
#00:49:20#
Christiane Shreve: Ja, also wir, wir hatten ja dann Briefe hin und her geschickt und mein Bruder und seine Frau, die wussten, dass wir wieder zurückkommen. Aber die sollten das äh also nicht weitersagen. Haben sie auch nicht. Und wir sind dann zurück. Die wussten auch noch nicht, dass ich wieder mit dem zweiten Kind schwanger war. Wir sind dann mit unserer Tochter zu dem Geburtstag, als die gerade alle da draußen saßen, als Besuch erschienen. Da haben sich natürlich sehr darüber gefreut. Und meine Mutter war kurz vorm Rentenalter. Die durfte dann, als der Sohn geboren wurde, durfte sie zu Besuch kommen. Da hat sie auch ne Woche bei uns gewohnt, um mir zu helfen. Und dann, da ist man ja noch mit 60 Rentner geworden, die Männer erst mit 65. Die ist dann öfter gekommen und noch mit ihrer Schwägerin, und wir sind also regelmäßig dann dort auch hingefahren aufs Dorf und haben die besucht, auch meine Schulfreundinnen besucht. Die wohnten ja auch so ein bisschen verteilt. Äh also die Kontakte wurden dann wieder aufgebaut oder aufgenommen.
#00:50:12#
John Shreve: Aber für die Kinder war es ne klare Sache, die Mauer kannten sie ganz selbstverständlich. Wir sind so oft durchgefahren, sie wussten, sie dürfen ihre Cousine da besuchen. Aber ihre Cousinen dürfen sie nicht besuchen. Das war ihnen sehr bewusst. Also ich kann mich an zwei Situationen entsinnen: einmal sind wir über Checkpoint Charlie gefahren und gerade ist der, als der Grenzsoldat am Auto unsere Pässe wieder überreicht hat. Unsere Tochter saß hinten und sagt einfach mal ziemlich laut und deutlich vorne zu hören: „Doofe DDR“, wir dachten OH! gabs aber keinen Ärger. Dann mussten wir einmal über Invalidenstraße fahren. Wir haben uns entschieden über Invalidenstraße, weil ich hatte, einen West-Berliner Ausweis, mein Sohn hat ein West-Berliner Ausweis gehabt, aber wir hatten amerikanische Pässe und Visen waren unterschiedlich, aus irgendwelchem Grund, weiß ich nicht wie es dazu kam. Ich hatte ein West-Berliner Ausweis mit einem Visum, aber seine amerikanische Pass hatte kein Visum mehr und wir haben entschieden, es gab Grenzübergänge für West-Deutsche, für West-Berliner, für Ausländer und unterschiedlich, also war nirgendswo wo alle können. Wir stiegen aus dem Auto aus dem Bahnhof Friedrichstraße, aber wir wollten nicht zu Fuß, wir fahren da aber der Grenzsoldat sagte, „Nee, das geht nicht, er darf nicht einreisen“, er war vielleicht anderthalb oder zwei vielleicht, „Wie sollen wir den sonst mitbringen? Sollen wir schicken Bahnhof Friedrichstraße, und wir holen ihn ab nachher “, dann verschwand der und kam wieder, mein Sohn saß hinten da, guckte wie zwei Soldaten mit Maschinengewehren zu dem Wachturm gelaufen sind, wa mit großen Augen. Da kam der, der Grenzsoldat hat die Pässe und sagt „Nie wieder, also wir lassen ihn rein aber nie wieder“ genau in dem Moment sachte mein Sohn: „Und dann schießen sie die Leute tot“. (lacht) Wir gucken einander an und dachten Oh!, also irgendwie der Kerl, ich vermute, der hat das auch verstanden, der hat einfach gedacht „ach …Irgendwie so ein Kind“ stimmte auch. Für ihn war das so, für die Kinder, den Kindern war das sehr bewusst. Unsere Tochter, ich hab n Bild von ihr, weiß nicht erster Schultag vor der Mauer und da ist ein Wachturm dahinter und dann als der Sohn die Schule anfing, war die Mauer wieder auf.
#00:52:30#
Christiane Shreve: Ja, sie ist 89 eingeschult worden, und da durften ja zu Sonderereignissen, hatte meine Schwester und mein Bruder auch eine Einreiseerlaubnis bekommen //Ja zum Ende// zur Einschulung. Ja und dann wie gesagt Kreuzberg SO 36. Also da war noch nicht so viel Multikulti wie jetzt, aber denen sind die Augen übergegangen. Da waren eben Kinder aus, ja, also vorwiegend war natürlich aus der Türkei oder Kurdistan, dann hatten wir welche aus Bangladesch, aus Indien, aus Polen, also die hatten, das hatten die noch nie gesehen, so eine Einschulungsfeier, ja mit so viel, also die Leute mit //Kopftücher// Kopftuch oder mit so einem Sari oder was da eben alles war. //Deine Schwester hat geguckt mit großen Augen//. Hm ja, aber die waren glücklich, dass sie eben kommen durften, und das fand ich auch sehr schön. Hat mich auch gefreut.
#00:53:19#
John Shreve: Und ich weiß, ihr Bruder durfte kommen.
Christiane Shreve: Ja Uwe und Ulrike sind zur Einschulung gekommen, ja.
#00:53:25#
John Shreve: Aber getrennt sind sie gekommen. Und er kam über die Oberbaumbrücke, war Grenzübergang, beide Seiten zu, und ich ging mit den Kindern auch im Wachturm im Westen waren diese Holztürme, man konnte die Mauer gucken und ihr Bruder kam über die Brücke da und fing an (lacht), ich dachte „Oh Uwe ob das gut ist?“
Christiane Shreve: Ja mein Bruder ist manchmal ein großes Kind, hier im positiven Sinne, führt nichts Böses im Schilde uns ist eben so wie er ist! [Dopplung über Johns Mikro]
John Shreve: Und ihre Schwester, ihr großes Ereignis in West-Berlin, war bei Udo Walz.
#00:53:55#
Christiane Shreve: Naja mein Bruder ist ein großes Kind geblieben, im positiven Sinne. Ja, der hat nichts Böses, führt nichts Böses im Schilde und ist so, ist so so eben, wie er ist, ja. Ja ne also meine Schwester, wie gesagt, war gerade das dritte Mal Mutter geworden und da sagte ich, „Ach, willst du nicht mal zum Friseur?“ „Ja gut“, und da hatten mir Kollegen gesagt, der Udo Walz bei den Azubis, da ist es nicht so teuer, die machen mit Typberatung und ein neuen Haarschnitt. Und da hab ich sie dann hingebracht, hab das auch bezahlt, war nicht teuer 40 D-Mark, und der hat sie wirklich richtig flott gemacht, die hat sich auch gut gefühlt und und und und //sah auch gut aus//. Ja, und dann ist sie ja praktisch, dann waren wir noch im Museum für Verkehr und Technik, ihr Mann hatte ihr so n paar Vorschläge gemacht und da hat sie ihr altes Arbeitsleben wiedererkannt, was dort im Museum ausgestellt war, wie mit Schreibmaschinen und was sie alles noch hatten.
#00:54:43#
John Shreve: Im Technikmuseum da war eine Ausstellung von antiken Schreibmaschinen, wirklich aus 1915 und 20 und auf einmal sagte meine Schwägerin „Genauso ne Schreibmaschine hab ich in meinem Büro!“ (lacht)
#00:54:55#
C. Jacobi: Ja, da wären die werden die, werden die Unterschiede deutlich ne, der Fortschritt war noch nicht so durchgedrungen. Ähm ja, und an sich würde ich gerne unser Gespräch heute noch abrunden, mit der Frage, wie ihr den Fall der Mauer erlebt habt, also vielleicht auch, wo ihr wart zu dem Zeitpunkt? Und ja, wir sind, wir sind da eure Erinnerungen?
#00:55:15#
John Shreve: Wir haben die Ereignisse immer verfolgt, also immer. Und am 4. November bei der großen Demonstration in Ost-Berlin, da war ich rübergefahren, und das war wie: ich wusste, die DDR ist tot! Weil die Leute waren fröhlich, die waren offen, die haben die hatten Schilder gemacht, die witzig waren sowas, also un-DDR. Für die ganze Atmosphäre (Unverständlich) Palast der Republik und und das war wie also ich dachte, ich bin in einer vollkommen anderen Welt gelandet. Und dann kamen wir zum Alexanderplatz und dann stand da Markus Wolf da, dann stand Gregor Gysi da und er stand mit all diesen Leuten und haben den Sozialismus gepriesen. Wir wollten den neuen Sozialismus für uns besser machen. Und die Publikum hat ihn nur gebuht. Und es war wie zwei Welten, ich dachte, habt ihr überhaupt mitgekriegt was hier heute passiert ist? Und fünf Tage später fiel die Mauer. Am neunten oder zehnten Bist du zur Arbeit gefahren? Den neunten haben wir verpasst.
#00:56:10#
Christiane Shreve: Ja, also am neunten sind wir brav schlafen gegangen, haben von alldem nichts mitgekriegt. Und ich bin dann morgens aufgestanden und habe auch kein Radio angemacht, weil die Kinder ja noch geschlafen haben. Die sollte ich ja nicht wecken und ich steig dann in die U-Bahn, Schlesisches Tor und denke, man so viele Leute aus der DDR, so viele Sektflaschen, des ist ja irgendwie komisch. //Stone washed Jeans!// Und dann bin ich noch, da habe ich noch in Reinickendorf gearbeitet, da bei der Firma DWM Copeland und komm da an und da sagt einer: „Ja bei euch muss doch die Hölle los sein, hast du denn nichts mitgekriegt?“, Ich sagte „Wie, was?“, „Na die Mauer ist gefallen!“, so und dann haben wir uns praktisch kurzgeschlossen und haben gesagt, also nach Abend, da fuhr ja die U-Bahn, steigen wir aus und treffen uns da am Punkt Checkpoint Charlie, und John mit Fotoapparat und mit Kindern und dann haben wir auf die Trabis sind auf die wat, also wir haben uns eigentlich auch riesig gefreut. Und in unserem Haus in der Falkensteinstraße war unten ein, ein italienisches Restaurant. Wir sind ja aufgrund finanziellen Gründen nicht oft essen gegangen. Aber dann sind wir essen gegangen, da haben wir ne Familie getroffen aus, woher waren die? //Leipzig// aus Leipzig. Die haben wir dann zum Essen eingeladen, und die waren dann ganz konfus, weil sie nicht mehr den Weg zurückfanden. Die mussten wollten ja wieder nach Hause fahren. Die hat dann John noch mit dem Auto…
#00:57:16#
John Shreve: Äh die waren mit Auto gekommen und parkten auf der anderen Seite, Oberbaumbrücke irgendwo, und die West-Berliner Polizei hat gegen Abend entschieden, Oberbaumbrücke ist nur für die Einreise nach West-Berlin, für die Ausreise, nicht. die West-Berliner Polizei hatte das entschieden, bei einer Tür so breit, da waren 1000 Leute auf beiden Seiten, das ging gar nicht anders. Und er fragt nur, „Wie komme ich wieder dahin?“, Ich sage, „Du musst über“, ich dachte den nächsten Checkpoint, da habe ich gedacht war wahrscheinlich Heinrich-Heine-Straße, der ist auch nicht so benutzt, so, so bekannt. Er sagt „Wie komme ich dahin?“, ich versuchte ihm zu erklären, ich sachte „Ach, steigt ins Auto ich bringe euch dahin!“ mit einem kleinen französischem R4.
Christiane Shreve: Waren auch vier Personen ja.
John Shreve: Ja, wir waren schon bepackt in dem Auto. Und unterwegs waren teilweise die Straßen zu Einbahnstraßen gemacht wurden. Die Polizei hat einfach gesagt, hier ist ne Einbahnstraße jetzt. Musst du so, es war gedauert dahin zu kommen und der Mann saß da die ganze Zeit, niemand sonst hat was gesagt, die Frau und die Kinder haben einfach still, der Mann sagt „Wer hätte gedacht, heute morgen, dass ich mit einem Amerikaner in einem französischen Auto durch West-Berlin fahre“ (lacht) und dann sagt er „Aber wie komme ich da von hier bis zu meinem Auto?“. Ich erklärte ihm dann da an den Bahnsteigen, und da aussteigen und und und … dass die Amerikaner sich besser auskennen aus Berlin als ich! Ja, die waren sehr dankbar. Also Christiane hat mich dann angerufen, dass sie auf Arbeit war, ich hatte die Kinder im Kindergarten gebracht, die andere Richtung, weg von der Mauer, also sie hat es nicht bemerkt unsere Straße war nicht so gefragt von den vielen neuen, und ich kam nach Hause und sie sagt hat mich angeguckt „Hast du ne Ahnung was los ist heute?, ich sag „Nö“, gucke aus dem Fenster, Oberbaumbrücke voll, und ich hab meinen Fotoapparat geschnappt, bin dann losgefahren, erstmal bis zum Brandenburger Tor, Walter Momper war da und Krane damit die Lichter da ist und die Soldaten standen auf der Mauer und dann bin ich so Reinickendorf, der Übergang Reinickendorf war so breit wie ein Auto, der Übergang, und die Autos fuhren alles aus Berlin raus, und stand dann oben drauf auf der Mauer Sektflaschen, leere Sektflaschen natürlich. Und dann hielt ein Taxi und fragte „Können Sie mir sagen, wie ich nach Alt-Moabit komme? Ich hab zwei alte Leute hier, die wollten dahin, wo sie aufgewachsen sind“, ich versuch Ihnen zu erklären, „Hier oben links und immer geradeaus“ und der sagte „Ach steigen sie einfach ein.“ Ich führte ihn dahin, die haben nur geguckt. Habe ich ein paarmal nach hinten geguckt und die haben nur geguckt, und da sind wir da hingekommen. Sie hat sie rausgelassen, wir sind wieder zurückgefahren zum Grenzübergang. Der Taxifahrer sagt „Ich hab keine Ahnung, wie ich zurückkomme, weil die Autos nur eine Richtung fahren“, und da waren einfach endlos, und dann aber merke ich, oh, ich muss nach Hause, muss die Kinder aus dem Kindergarten abholen. Und dann war die Geschichte mit Checkpoint Charlie, wir sind da hingefahren in dem Restaurant und so, es war schon ein ereignisreicher Tag.
#01:00:23#
Christiane Shreve: Und das war auch so eine total euphorische Atmosphäre. Und dann fings ja an,
ich war ja im Betriebsrat und auch gewerkschaftlich orientiert. Dass sie dann sagten, ja, haben sie ja in Bonn entschieden, einmal Hauptstadt und dann, dass die Berlinzulage und die Berlinpräferenz wegfällt, und da haben die dann in unseren Betriebsversammlungen eindeutig gesagt, wenn die Berlinpräferenz so von 100 auf 0, werden die alle arbeitslos. In den Zigarettenfirmen, in den Strumpfhosen und so, was alles gefördert wurde, und natürlich Berlinzulage, das war ja 500, 600 D-Mark damals noch. Das war ja auch kalkuliertes Einkommen. Es war für viele die Miete, dass das dann auf einmal weggefallen ist. Das kam dann so nach dieser Euphorie peu a peu.
#01:01:09#
John Shreve: Ja, in den ersten Tagen. Wir waren wie ein Taubenschlag, unsere Wohnung. Es tauchten immer wieder Leute aus der DDR auf, die wir nie da gesehen hatten, und die waren wie Fremdkörper, wie jemand vom anderen Planet.
#01:01:22#
Christiane Shreve: Ja, aus meiner alten Arbeit. Ja. Die Leute kamen dann mal jeklingelt und Hallo, ja.
#01:01:26#
John Shreve: Deine alten Freunde, Leute aus Dresden gekommen, also alle mögliche Leute heute. Teilweise die wir nicht mal so eng waren.
Christiane Shreve: Da hatten wir wirklich sehr Open House.
#01:01:35#
John Shreve: Ja, jetzt noch mal die Klingel, oh da kommt wieder n Ossi. (lacht) Nee, nein, es war schön, sie zu sehen, aber du hast gemerkt, sie saßen da, erst mal ihr Kleidung sah anders aus. Die Haarfrisuren waren anders, alles die äußerlich, waren sie auffallend, und dann wirkten sie unsicher. Ja, das war schon schon komisch. Ja, und dann bei uns war ne Bank, und da standen sie an, Tausende //Begrüßungsgeld, ja// also ich kann es ohne weiß paarmal Tausende gewesen sein, Hunderte, dort und dort, und einmal ging ich da rüber und sah eine Mutter, sie sah so verzweifelt aus, mit kleinen Baby und noch einem kleinen Kind, oder zwei Kinder, weiß ich nicht mehr. Boah die steht da, ich habe sie gefragt „Wie lange stehen sie schon?“ „Zwei Stunden stehe ich schon hier“ und es war noch eine ganze Weile bis dhain. Ich sag: „Wissen sie, ich wohne hier um die Ecke, kommen sie mit, Kinder können sich ein bisschen ausruhen, und können eine Windel wechseln, vielleicht, „Ach ja, aber dann kriege ich meinen Platz nicht mehr in die Schlange“ und dann ich sage zu einem Ehepaar hinten, ein älteres Ehepaar, so jung vielleicht so heute, sagen wir mal um die vierzig rum, ich drehe und sagte zu den beiden „Eins ist klar, die Frau kriegt den Platz wieder, sie sorgen dafür ja? Ist klar?“ Ich war so wie der Hauptmann von Köpenick, die Stimme so gemacht. Kinder was zu trinken gekriegt, Windel gewechselt, die war ganz dankbar, ruht sich so Viertelstunde aus hier. Und dann sind wir wieder zurückgefahren. „Hier sind ihre Plätze, wir stehen noch hier“. Ja das war schön. Alles war so Momente war schön. Aber eine Anekdote nicht von uns , aber ein Freund von uns, den wir später kennengelernt hat, die gehört dazu. Er war bei der Bank Dresdner Bank, später dann Commerzbank aufgenommen, und der wurde rumgeschickt mit nem Koffer voll Bargeld, weil das Geld alle wurde in manchen Bank-Filialen. So verrückte Sachen gab es damals. Und ein anderer Freund erzählte uns, der war in der Invalidenstraße in Ost-Berlin und wer hat den Verkehr geregelt? Ein West-Berliner Polizist! Ich habe ihn noch mal gefragt. Vor kurzem sagte ich, ja, das ist die Wahrheit und meine, ich habe es nie eine Bestätigung von jemand anderes gefunden, aber an dem Tag war wirklich, in diese Zeit war wirklich alles möglich.
#01:03:50#
Christiane Shreve: Ja, die haben die nicht mehr für voll genommen die Polizisten, ja, die waren endlich froh, die hatten die Autorität schlagartig verloren und hat man ja auch an den Uniformen erkannt, wer woher gehört, und die wurden mit allem einfach alles abgelehnt, ne.
#01:04:02#
John Shreve: Ja, der Stand bei uns mal an der Ecke, der war ne Baustelle, da war Probleme mit Verkehr und es war nach der, nach der Einigung und da stand ein Ost-Berliner Polizist mit Ost-Berliner Uniform und der Aufnäher von West-Berlin, mehr nicht. Der Uniform war gleich. Und der wollte Verkehr Regeln und die Fußgänger auch da, der hatte ja keine Chance, niemand hat den für voll genommen. Alle jeder ist an dem einfach vorbeigelaufen.
#01:04:31#
C. Jacobi: Dann würde ich mit euch beiden ganz gerne unsere unsere Folge noch mal abrunden mit der Frage, wie ihr beide eigentlich das Ankommen beschreiben würdet, beziehungsweise ob es überhaupt einen Zeitpunkt gegeben hat, wo ihr sagen würdet, ihr seid angekommen?
#01:04:48#
Christiane Shreve: Ich fühlte mich angekommen, als wir eine gemeinsame Wohnung bezogen haben und dann selbst für unser Einkommen sorgen konnten. Da und ansonsten habe ich mich immer informiert und interessiert, also da hatte ich überhaupt keine Probleme mit anderen mitzuhalten.
#01:05:03#
C. Jacobi: Und habt ihr euch zu zu irgendeinem Zeitpunkt von oben herab behandelt gefühlt, als eh oder du dich als DDR-Bürgerin?
#01:05:10#
Christiane Shreve: Also ich hab das nicht so empfunden.
C. Jacobi: Ja, man muss vielleicht auch noch dazu sagen, wenn wir in deinem Fall John einsetzen jetzt von Ankommen sprechen, dann gab es ja eigentlich zwei Arten von Ankommen, also einmal mit deiner Familie und dann auch das Ankommen für Dich aus Amerika in Deutschland.
#01:05:26#
John Shreve: Also wir kamen in West-Berlin an, aus Amerika, ich wollte aus West-Berlin eigentlich weg vorher und ich kannte West-Berlin, ich lebte paar Jahre da vorher. Aber für mich angekommen bedeutet. Als wir zusammen waren. Der Sohn kam zur Welt dann hatten wir paar Monate, wo wir eigentlich nur zusammen waren, in der Wohnung. Niemand hatte von uns beiden noch keine Arbeit gehabt, wir waren da mit unseren kleinen Babys, als Familie, das war für mich dieses Ankommen nach all den Jahren.
#01:06:10#
C. Jacobi: Diese Produktion wird gefördert von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt im Zusammenhang mit dem Projektfonds Zeitgeschichte und Erinnerungskultur. Konzeption und Ausführung Caroline Jacobi, Postproduktion und Musik Joel Devon Laube
#01:06:25#
Begleitende Informationen in Leichter Sprache
Die Schule in der DDR war anders als heute.
Die Schule von Klasse 1 bis 10 hieß: Polytechnische Oberschule.
Hier gab es nicht nur Unterricht mit Büchern.
Es gab auch viel praktische Arbeit.
Zum Beispiel arbeitete man in Werkstätten oder besuchte Betriebe.
Man lernte Sachen, die man später im Beruf brauchte.
Gute Schüler konnten Abitur machen.
Für das Abitur mussten sie 2 Jahre auf die erweiterte Oberschule.
Man konnte nur mit einem Abitur an der Universität studieren.
Das ist heute nicht mehr so.
Man kann zum Beispiel auch mit einer Ausbildung studieren.
Es kommt auf das Studium an.
Auch in Polen waren die Bewohner in den 1980er Jahren sehr unzufrieden mit ihrer Regierung.
Darum gab es die Bewegung Solidarność.
Das spricht man: So-li-da-norsch.
Eine Bewegung bedeutet:
Viele Menschen kämpfen gemeinsam für ein Ziel.
Solidarność war eine polnische Bewegung für die Rechte von den Arbeitern.
Sie kämpften für bessere Arbeits-Bedingungen und mehr Mitsprache-Recht.
„Bonjour Tristesse“ dieser Schriftzug zierte das Wohnhaus der Familie Shreve in der Falckensteinstraße im Berliner So36-Kiez. Für Familie Shreve war der Schriftzug Programm. Christinane und John beschrieben das Leben und Wohnen in diesem Berliner Wohnviertel Mitte der 1980er Jahre ebenfalls als eine Art Tristesse.
Aufgenommen 1984, Falckensteinstraße (Kreuzberg), rechts Schlesische Straße; Neubauten für die IBA 1987 – internationale Bauausstellung Berlin; Erbaut 1982 – 1983, Architekt Alvaro Sizo, Peter Brinkert
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-02-15 Nr. 0262148
Der Checkpoint Charlie am Südende der Friedrichstraße war von 1961 bis 1990 die einzige Übergangsstelle für Alliierte, Ausländer und Mitarbeitende der Ständigen Vertretung der BRD. John passierte den Checkpoint Charlie unzählige Male, um Christiane in Ost-Berlin zu besuchen. Aber vor allem am Einreise-Schalter der DDR erlebte er Diskriminierungen und herablassendes Verhalten den Einreisenden gegenüber
Aufgenommen am 24. März 1984
Berliner Mauer (Mitte); Grenzübergang Friedrichstraße zum Checkpoint Charlie Ost-Berlin; von Ost-Berlin aus gesehen
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-02-15 Nr. 0260795
Aufgenommen am 3. Juni 1986
Friedrichstraße (Kreuzberg/Mitte) Grenzübergang Checkpoint Charlie
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-02-09 Nr. 8
Aufgenommen am 1. Oktober 1961
Berlin-Kreuzberg, Friedrichstraße
US-Panzer am Sektorenübergang „Checkpoint Charlie“
Blick vom Union-Verlagshaus in der Zimmerstraße 79/80 (Berlin-Mitte).
Aufgenommen am 27. August 1962
Friedrichstraße „Checkpoint Charlie“ (Kreuzberg) Amerikanische Ambulance wird abgelöst.
Aufgenommen am 10. Juli 1963
Checkpoint Charlie
Berlin-Kreuzberg-Mitte, Friedrichstraße Grenzübergang
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290-02-04 Nr. 8194
Kurz nach der Eröffnung der Grenze bildeten sich lange Schlangen vor den Banken. John erinnert sich an eine Mutter mit kleinen Kindern, die schon Stunden wartete, um ihr Begrüßungsgeld abzuholen.
Berliner Mauer; Köpenicker Straße (Kreuzberg) Ecke Bevernstraße
Besucher aus der DDR nach Öffnung der Grenze von Ost- nach Westberlin in der Nacht vom 9. zum 10.11.1989; vor einer Filiale der Dresdner Bank Berlin
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. 0310792
John berichtet von einer einzigen Tür, durch die sich tausende DDR-Bürger:innen an der GÜSt Oberbaumbrücke in der Nacht vom 9. zum 10.11.1989 quetschen mussten, um nach West-Berlin zu kommen.
Berliner Mauer; Oberbaumbrücke (Kreuzberg/Friedrichshain); Grenzübergang Oberbaumbrücke nach Öffnung der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (02) Nr. 0310791